Aktivierender Staat: QM und Arbeitsmarktpolitik

Das Leitbild des „aktivierenden Staates“ ist eng mit den im Dossier Standortwettbewerb / Neoliberale Stadt beschriebenen Prozessen verknüpft. Ebenso, wie die zunehmende Ausweitung von Wettbewerbsmechanismen auf alle gesellschaftlichen Bereiche, ist das Konzept des „aktivierenden und kooperativen Staates“ auf den Wandel des Wohlfahrtstates (ausgehend von der „Fordismuskrise“ der 70er-Jahren und der Durchsetzung neoliberaler Politikformen) zurückzuführen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Umstrukturierung der Sozialpolitik nach arbeitsmarktpolitischen Interessen. Das Quartiersmanagement stellt in diesem Zusammenhang ein Instrument dar, das diesem politischen Umbau dienen soll.

Staatlichkeit im Wandel

„Das Leitbild des aktivierenden Staates nimmt diese neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft auf. Eine darauf ausgerichtete Staats- und Verwaltungsreform muss eine neue Balance zwischen staatlichen Pflichten und zu aktivierender Eigeninitiative und gesellschaftlichem Engagement herstellen. Der Staat ist dann weniger Entscheider und Produzent, als vielmehr Moderator und Aktivator der gesellschaftlichen Entwicklungen, die er nicht allein bestimmen kann und soll. Aktivierender Staat bedeutet, die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft zu fördern und ihnen den notwendigen Freiraum zu schaffen. Im Vordergrund muss deshalb das Zusammenwirken staatlicher, halb- staatlicher und privater Akteure zum Erreichen gemeinsamer Ziele stehen.“ Bundesregierung 1999 (Quelle: http://www.bev.bund.de/download/moderner_staat.pdf)

Der Wandel vom „versorgenden“ zum „aktivierenden und kooperativen“ Staat wurde in Deutschland vor allem durch die Rot-Grüne Bundesregierung von 1998–2005 vorangetrieben und als „neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft“ aufgegleist. Das Bestreben lag vor allem im Abbau von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen begründet. Da das Akkumulationsregime des Fordismus in eine (Legitimations-) Krise geriet, die Finanzeinnahmen für die soziale Sicherung zurückgingen, jedoch gleichzeitig höhere Ausgaben anstanden, mussten alternative Mittel und Wege gefunden werden, bisherige Leistungen des Staates auch ohne staatliche Mittel aufrecht zu erhalten. Diesem Problem wurde mit der verstärkten Einbeziehung privatwirtschaftlicher Akteurinnen in Form von Public-Private-Partnerships und der Entwicklung von „gemeinnützigen Drittsektororganisationen bzw. „sozialen Unternehmen“ begegnet. Letztere sollen neben Staat und Markt einen dritten gesellschaftlichen Sektor darstellen, und eine Produktivitätssteigerung der Volkswirtschaft herbeiführen. Die Reformen scheinen den erwünschten Zweck zu erfüllen: Das heutige Wirtschaftswachstum lässt sich durchaus zu einem guten Teil mit den Lockerungen im Arbeitsrecht (Niedriglohnarbeit) bei gleichzeitiger Einführung von Hartz-IV-Reformen (Arbeitszwang und Repression) der Schröder–Regierung erklären. Doch eine Umstrukturierung des Sozialstaates nach Prinzipien der Effizienz und der Eigenverantwortung bringt zwangsweise neue Ungleichheiten hervor:

„Die sozialen Sicherungssysteme werden in der Konsequenz selektiver und in erheblichem Umfang privatisiert (z.B. Kranken- und Rentenversicherung). Zusammen mit der weiteren Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen (Entformalisierung, Lohnsenkung, Arbeitsintensivierung, Abbau von Sozial- und Arbeitsschutzbestimmungen etc.) führt dies zu Verarmung bzw. Armutsrisiken auch für die Mittelschicht und zu zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen und Ungleichheiten. Spaltungen in der Gesellschaft erscheinen jedoch in den städtischen Diskursen zunehmend nicht mehr als Problem sozialer Gerechtigkeit, sondern lediglich als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und des Images eines Standortes (MAYER 1998a: 431). De facto führt die Umstrukturierung des Sozialstaates vor allem zu Leistungs- und Rechtsansprucheinschränkungen und einer Re-Privatisierung sozialer Risiken, d.h. einer Verlagerung von Risiken auf die Ebene des Individuums bzw. der Familie.“ Quelle: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/rosol-marit-2006-02-14/PDF/rosol. pdf

Um diese Verlagerung politisch legitimieren zu können bedarf es einer (verstärkten) moralischen Aufladung von Arbeit und einer Übertragung von Verantwortung ans Individuum: Lohnarbeit wird begrifflich zunehmend als „Bürgerpflicht“ und der Bezug von Sozialleistungen als „Schuld“ (auch im ökonomischen Sinne von „Schulden“) gefasst. Dieser normalisierende Diskurs wird begleitet durch die Einführung neuer Kontroll- und Repressionsmaßnahmen:

„Wer nicht teilnehmen will, dem droht zuerst Druck, dann Zwang und bald Ausschluss (z.B. von Sozialleistungen) durch den aktivierenden Staat. Die neue ‚‚zivile Bürgergesellschaft’’ soll demnach durch den gleichzeitigen Rückgriff auf neoliberale und kommunitaristische Elemente konstruiert werden: Gemeinschaft und Zwang auf der einen Seite, Selbstverantwortung und Selbststeuerung auf der anderen.“ Quelle: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/rosol-marit-2006-02-14/PDF/rosol.pdf

Aktivierungsmaßnahme Quartiersmanagement

In Ihrem Text Drittsektor-Organisationen in der Politik gegen soziale Ausgrenzung. Neue Partner der Verwaltung? (S. 58-68) erläutert Margit Mayer Zusammenhänge zwischen dem Quartiersmanagement und einer neoliberalen Arbeitsmarktpolitik. Das Quartiersmanagement, das sich als „Instanz der Interessenvermittlung und gesellschaftlich-sozialen Integration einer demokratischen Gesellschaft“ versteht, findet sich in einer politischen Landschaft wieder, die für solch noble Absichten keinen Platz bietet. Das ‚Soziale Stadt‘ Programm (auf welches das QM in Deutschland maßgeblich zurückgeht und auf strukturell benachteiligte Quartiere angewandt wurde) betrachtete die „nachbarschaftliche Vernetzung und lokales bürgerschaftliches Engagement als essentiell, um Ressourcen und Energien aus diesen bedrohten Stadtteilen selbst zu erschließen. Dabei definiert sich das hier eingeschaltete QM als neuen ökonomischen Akteur, der lokale Arbeitslose und Ausgegrenzte mobilisieren kann, um lokale soziale Bedürfnisse zu erfüllen.“ De facto neigen Quartiersmanagement-Projekte jedoch dazu prekäre Arbeitsbedingungen zu reproduzieren, staatliche Verantwortlichkeiten auf Individuen abzuwälzen und Scheinpartizipation voranzutreiben. Dabei rücken die tatsächlichen Ursachen von Quartiersproblemen und sozialer Ungleichheit weit in den Hintergrund.

Die Einbettung von Non-Profit-Organisationen in die Verwaltung

Margit Mayer beschreibt die Entwicklung des Quartiersmanagement als eine zunehmende Abhängigkeit zur Verwaltung. Durch zahlreiche Arbeitsmarktrevisionen, hat die Beschäftigung im Niedriglohnsektor zugenommen und das Quartiersmanagment wurde zum Agenten der Jobvermittlung:

„Im Unterschied zu früheren Quartiersentwicklungsprogrammen – etwa der ‚behutsamen Stadterneuerung‘ in den 1980er Jahren – genießen die heutigen QMs eine institutionell privilegiertere Position, allerdings im Rahmen eng umschriebener Vorschriften und komplizierter Genehmigungsverfahren. Sie beziehen ihr Budget großteils aus Mitteln, die sie nur als Aufträge von der Verwaltung erhalten können, sind also von einem guten Verhältnis zu den auftrag- gebenden Verwaltungen abhängig. Da die Beauftragung auf der Basis von Jahresverträgen erfolgt, müssen die QMs permanent vorzeigbare Erfolge organisieren“

Diese „Erfolge“ bemessen sich dabei jedoch nicht etwa an der sozialen Stabilisierung von Hilfebedürftigen, sondern vor allem an Vermittlungsquoten und Einsparungen. Somit bleiben in der Beschäftigungspolitik heute jene Träger überlebensfähig, „die mit traditionellen und neuen Programmen subventionierte Arbeitsgelegenheiten schaffen, welche aber kaum noch sozialpädagogisch betreut sind“. Nach wie vor begründen jedoch diese Träger ihre Existenzberechtigung mit ihrer vermeintlichen Funktion als „soziale“ Einrichtungen. Da sie als „Sozialfirmen“ keine gewinnorientierte Unternehmensstrategie fahren dürfen, gleichzeitig jedoch von der Verwaltung zwecks Kosteneinsparungen zu unternehmerischem Handeln angehalten werden, stehen die Träger des QM – allen guten Absichten zum Trotz – in grosser Abhängigkeit von der Verwaltung. Beispiele aus Berlin zeigen, dass die Träger von Quartiersmanagments aufgrund von Arbeitsmarktrevisionen seit den 90er-Jahren (A) zunehmend der Konkurrenz mit anderen Trägern ausgesetzt sind und (B) dem Druck der Verwaltung nachgeben müssen:

„Schon vor Hartz IV ging solche Beschäftigung zu Niedriglöhnen zumeist auf Forderungen der Arbeitsämter zurück. So legte das Arbeitsamt Ost im Juli 1999 fest, dass ‚im Rahmen der Ermessensausübung‘ Erwerbslose bis zu 20 Prozent unter dem Tarif-Lohn liegende ABM- und SAM-Entgelte akzeptieren müssen. Die Träger wurden gezwungen, entsprechende Maßnahmen anzubieten, andernfalls werde geprüft, „ob eine vergleichbare Maßnahme bei einem anderen Träger mit geringerem Förderaufwand durchgeführt werden kann“ (Arbeitsamt Ost 1999: 2).“ (S. 62)

Somit lässt sich sagen, dass die Träger von QMs inzwischen als „verlängerter Arm der Verwaltung bei der Restrukturierung der lokalen Sozial- und Beschäftigungspolitik“ fungieren. Trotz der Potenziale, die in einigen Quartiersmanagment-Projekten vorhanden wären,  weist Margit Mayer darauf hin, dass Quartiersmanagement in der aktuellen gesellschaftlichen Situation all zu leicht zu einer neoliberalen Strategie des Standortwettbewerbs und der Responsibiliserung von Bürger*innen wird. „Die Betroffenen werden letztlich selbst verantwortlich für ihren ‚Verfall‘ gemacht – als (noch) nicht hinreichend ‚aktiv(iert)‘ und ‚zivilgesellschaftlich engagiert‘” (S.64).


Zum Weiterlesen:

Bundesregierung (1999): Kabinettsbeschluss 1. Dezember 1999: Moderner Staat – Moderne Verwaltung – Leitbild und Programm der Bundesregierung URL: http://www.bev.bund.de/download/moderner_staat.pdf

Mayer, Margit (2005): Drittsektor-Organisationen in der Politik gegen soziale Ausgrenzung. Neue Partner der Verwaltung? In: Local Power. Mehr Bürgerengagement durch Governance? Forschungsjournal Neue Soziale Bewegung 3/2005, S. 58-68 URL: http://www.fjnsb.org/sites/default/files/archiv/FJNSB_2005_3.pdf

Rosol, Marit (2006): Gemeinschaftsgärten in Berlin. Eine qualitative Untersuchung zu Potenzialen und Risiken bürgerschaftlichen Engagements im Grünflächenbereich vor dem Hintergrund des Wandels von Staat und Planung  URL: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/rosol-marit-2006-02-14/PDF/rosol.pdf