Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen!

Quelle: Facebook/Like Offenbach

Quelle: Facebook/Like Offenbach

Wir wundern uns regelmäßig. Überall wird in Offenbach von Aufwertung, Sanierung und von neuen Bewohner*innen-Strukturen gesprochen – aber dass es dadurch zu Verdrängung der jetzigen Bewohner*innen kommen könnte, wird von (fast) allen Seiten geleugnet:

Die neue Broschüre zur Entwicklung des “Mathildenviertels” erzählt sich als fröhliche Erfolgsgeschichte, Daniela Matha kann sich am Hafen Offenbach beim Bau von Luxuswohnungen austoben und Loimi Brautmann darf auf seinen Stadttouren die geheimen Ecken Offenbachs abfeiern und mit seinem Raumfinder Neuzuzüger*innen locken, und immer klingt es, als käme es allen Einwohner*innen zugute.

Gleichzeitig sprechen sie aber doch alle von den unerwünschten Bewohner*innen: von den Gering-Verdienenden, die nicht genug Steuergelder in Offenbachs Kassen spülen, von den Chaot*innen, die das Mathildenviertel zum “wilden Osten” machen, und von den Obdachlosen und Junkies, die in der Stadt für Angst und Schrecken sorgen – und davon, dass diese Menschen durch die vielbeschworene Veränderung der Mieter*innenstruktur irgendwie ‘kompensiert’ bis ‘ausgewechselt’ werden sollen. Was passiert, wenn sich diese Struktur tatsächlich ändert und wo die ungeliebten Bewohner*innen bleiben sollen, scheint da wenig zu interessieren. Lieber spricht man darüber, wie schön es dann werden wird, hier in Offenbach.

Verdrängung scheint hier im selben Atemzug verschwiegen, erwünscht und legitimiert zu werden. (Ganz nach dem Motto: “Wir wollen andere Menschen in Offenbach, aber das hat nichts mit Vertreibung zu tun, aber eigentlich wären wir ohne die Armen in Offenbach schon viel besser dran.“) Solange niemand danach fragt, was denn passiert wenn sich die Bewohner*innenstruktur verändert und wo die ungeliebten Bewohner*innen dabei bleiben sollen, kann die Stadt weiterhin so tun, als gäbe es hier keine Verdrängung. Gleichzeitig wird die Anwesenheit gewisser Menschen auf Basis von Lebensstilen und Verhaltensweisen delegitimiert und diffamiert. Besonders gruselig wird es, wenn auf der Facebook-Seite “Like Offenbach” (die nach eigenen Angaben durch die Stadt Offenbach finanziell unterstützt wird!) unter einem Foto der City-Passage ganz offen gegen “Assis” und andere gehetzt wird:

LikeOF

Hier wird auf die Spitze getrieben, was uns die Verteter*innen der Stadt (inklusive Quartiersmanagement) jedes Mal aufs neue vorbeten und bereits vorgebetet haben: Eine Sündenbock-Rhetorik, welche die Probleme Offenbachs auf scheinbare ‘Bevölkerungsgruppen’ abwälzt und somit suggeriert, dass Offenbach ohne sie viel besser dastünde. Auf diese Weise sind es ganz schnell die Armen (und nicht die Armut) die bekämpft werden müssen, die ‘Fremden’ die einem imaginierten ‘uns’ die Räume wegnehmen und mit Sisha-Bars und Spielcasinos überschwemmen und dem langersehnten Aufstieg OFs im Wege stehen. Das ist: Rassismus, Treten nach ‘unten’ und eine ziemlich populistische und verkürzte Darstellung der Gründe für marode kommunale Kassen – und das alles mit freundlicher Unterstützung der Stadt Offenbach, die Webseiten, FB-Profile, Filme und Hochglanzbroschüren zum Thema finanziert.

Eine Studie von Studierenden der TU-Darmstadt, die das Sprechen über und den Umgang mit Gentrifizierung in den Städten Berlin, Frankfurt, Hamburg, Leipzig und Offenbach untersucht, kommt ebenfalls zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis, was die Offenbacher Politik angeht:

“Es drängt sich hier der Eindruck auf, dass solche Personengruppen nur der political correctness wegen offiziell geduldet werden und auch vom Mieterbund gezielt nicht vertreten werden. Die prekäre finanzielle Lage der Stadt Offenbach und das schlechte Image der Stadt, werden versucht, auf dem Rücken sozial benachteiligter Gruppen, mit einem diskriminierendem Blick auf diese, auszutragen.“ (S.71)

Die Wettbewerbslogik des neoliberalen Kapitalismus, nach der Städte und Kommunen um Steuerzahler*innen konkurrenzieren um ihre Leistungen finanzieren zu können, wird auch an dieser Stelle deutlich – nur dass der Leistungsdruck und die Angst vor dem Abstieg hier bis in den ganz privaten Bereich und die individuelle Meinung hineinreichen. In einer Zeit in der immer größere Bevölkerungsgruppen mit flexibilisierten und unsicheren Arbeitsverhältnissen, dem steten Wegfall von staatlichen Sozialleistungen und einer zunehmenden Prekarisierung konfrontiert sind, werden mit Hilfe der Sündenbockrhetorik Schuldige konstruiert, die von den eigentlichen Gründen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme ablenken: nämlich einer kapitalistischen Logik der Profitmaximierung und Ausbeutung. Während sich immer mehr Menschen in ähnlich beschissenen Situationen befinden, werden sie nach der Idee von ‚teile und herrsche‘ gegeneinander in Stellung gebracht und auf diese Weise ein gemeinsamer Widerstand vereitelt.

Statt die Gemeinsamkeiten unserer Situationen zu erkennen, wird uns nahe gelegt uns nach ‘oben’ zu orientieren, uns die Schönen und Reichen herbeizuwünschen, in der Hoffnung doch ein bisschen von ihnen profitieren zu können – und dabei die anderen, denen es noch ein bisschen schlechter geht, hinter uns zu lassen. Nicht dass sie uns noch mit in den Abrgund reißen. Das geht sogar bis zur Selbstaufgabe:

“Eins, zwei gentrifizierte Viertel, auch wenn ich sie mir nicht mehr leisten kann, würden Offenbach wunderbar bekommen” (S.107),

wird in obengenannter Studie ein*e Interviewpartner*in zitiert. Der ‘schlechte Ruf Offenbachs’ wird immer mehr verinnerlicht. Der Appell Offenbach durch Sanierung, Leuchtturmprojekte und eine ‘Veränderung der Bewohner*innenstruktur’ (=Verdrängung) ‘gemeinsam’ zu einer schönen, hippen, kreativen Stadt zu machen, wird auf diese Weise schnell zur ganz persönlichen Mission – denn wenn Offenbach seinen schlechten Ruf los wäre, müsste man sich (so die These) endlich nicht mehr dafür rechtfertigen, hier zu wohnen. Diejenigen, die als Hindernis für jenen Aufstieg wahrgenommen werden, seien eben selbst schuld, weil sie sich nicht anstrengen, zu viel trinken, die falsche Hautfarbe oder eine Wohnung in Offenbach sowieso nicht verdient haben.

Was sich auf diese Weise tatsächlich verbessern soll, bleibt uns schleierhaft. Wir haben keine Lust uns gegenseitig als Gefahr oder Konkurrenz zu verstehen oder Ziel irgendeiner Hetzkampagne zu werden. Wir wehren uns gegen diesen von oben geführten Klassenkampf und die populistische Meinungsmache der Stadt und ihren Vertreter*innen. Statt uns gegenseitig fertig zu machen, wollen wir gemeinsam darüber nachdenken was die politischen und wirtschaftlichen Gründe für unsere Situationen sind um von dort aus tatsächlich etwas zu verändern – ohne uns für dumm verkaufen und uns von einer Sündenbockrhetorik verblenden zu lassen.


Zum Weiterlesen:

Murat Çakir: MigrantInnen und Flüchtlinge: „Bodensatz“ kapitalistischer Gesellschaften. In: Wem gehört Frankfurt? – Dokumentation des aktionistischen Kongresses vom März 2012 organisiert aus dem „Wem gehört die Stadt?“-Netzwerk. S. 46-52.