OF loves you(r money!)

ueberleben

(Bild Quelle: http://www.oflovesu.com/ )

Während uns hier die große Liebe versprochen wird und Offenbach als multikulturelle Stadt mit Raum und Lebensqualität für alle präsentiert wird, macht ein Artikel in der Frankfurter Rundschau deutlich, dass die Realität leider anders aussieht – und das „Über(-)Leben“ eben nicht nur aus der Suche nach dem richtigen Lifestylecafé und einem Atelier im Ostpol besteht, sondern im Zuge zunehmender Aufwertung für viele zu einer existentiellen Frage wird.

So veranschaulicht der Artikel „Kein Platz für Frauen in Not“ (September 2014) deutlich, dass der boomende Wohnungsmarkt in Offenbach, der Politiker*innen und Stadtplaner*innen erfreuen mag, immer mehr zu einer Aufteilung in ‚erwünschte‘ und ‚unerwünschte Mieter*innen‘ führt.  Während Offenbach immer schöner, hübscher, hipper und sicherer werden soll, werden für Teile der Bevölkerung bereits die Wohnungen knapp, weil sie nicht ins Profil der Wohnungseigentümer*nnen und Immobilienmakler*innen passen wollen.

Die stetige Aufwertung Offenbachs führt somit zu wesentlichen Verdrängungsprozessen „einkommensschwacher Personengruppen“. Im Selbstverständnis des Quartiersmanagements wird deutlich, dass dies keinesfalls als ’nicht intendierter Effekt‘ einer Verbesserung der Lebensqualität bewertet werden kann. Viel mehr sind jene Verdrängungsprozesse Teil einer Strategie für eine bessere Durchmischung und werden aktiv vom QM angestrebt. So ist auf der Website des Quartiersmanaements Offenbach Folgendes zu lesen:

„Die östliche Innenstadt brauchte dringend neue Impulse, denn ein Mangel an Investitionen und eine hohe Dichte einkommensschwacher Haushalte wurden sichtbare Zeichen einer wachsenden Vernachlässigung.“

Und weiter unten, wenn es um den sich bereits abzeichnenden ‚Erfolg‘ des Quartiersmanagements geht:

„So konnte in der Östlichen Innenstadt nicht nur die Abwärtsspirale gestoppt werden, sondern auch die Voraussetzungen für eine positive Fortentwicklung Aufschwung geschaffen werden: das ehemalige Arbeiterviertel kommt nun als Ort für junge Kreative zu neuer Blüte. Das Gründerzentrum Ostpol bietet heute Büros und Ateliers für Unternehmensgründer. Die Gemeinnützige Baugesellschaft Offenbach (GBO) hat Wohnraum für Studierende geschaffen. Die Sanierung alter Bausubstanz hat das Stadtbild im Quartier verbessert, die Mieterstruktur verändert sich durch die Ansiedlung von Studierenden und wird perspektivisch auch die Angebotsstruktur im Stadtteil verändern, wenn Handel und Gastronomie diese Zielgruppe für sich entdecken.“

Auf die Folgen dieser Entwicklung verweist nun u.a. der hier verlinkte Artikel der Frankfurter Rundschau:

„Dass es sozial Schwache auf dem Offenbacher Wohnungsmarkt immer schwer haben, ist bekannt. Die Mieten steigen und weil die ganze Rhein-Main-Region wächst, können sich die Vermieter in Offenbach ihre Mieter inzwischen meist aussuchen. Das führt dazu, dass auch die Zahl der Übernachtungen in Notquartieren in Offenbach im letzten Jahr auf den Rekordstand von rund 138.000 gestiegen ist – weil es dem kommunalen Jobcenter Mainarbeit und dem Sozialamt immer schwerer fällt, Menschen aus Notquartieren in eigene Wohnungen zu vermitteln.“

Dies führt unter anderem auch dazu, dass das Offenbacher Frauenhaus, welches Frauen Zuflucht vor häuslicher Gewalt Zuflucht bietet, mittlerweile völlig überlaufen ist. Eigentlich sollte das Frauenhaus nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zu einer eigenen Wohnung darstellen. Da es aber zunehmend schwieriger wird in Offenbach eine Wohnung zu finden, sind die meisten Frauen gezwungen auf unbestimmt Zeit im Frauenhaus zu bleiben.

„Der Andrang auf den Offenbacher Immobilienmarkt, der sich in immer neuen Bauprojekten wie dem Hafengold manifestiert, führt dazu, dass die Bereitschaft, sozial Benachteiligte als Mieter aufzunehmen, sinkt. „Früher konnten wir Makler beauftragen, eine Wohnung zu finden“, berichtet Balthasar [vom Trägerverein Frauen-helfen-Frauen]. Die Provision wurde den Frauen durch die Mainarbeit in Form eines Darlehens vorgeschossen. Doch inzwischen hätten die Makler auf dem Offenbacher Markt daran kein Interesse mehr.“

Die Logik, welche das Quartiersmanagement verfolgt, wird hier manifest. Im Zuge der angstrebten ‚Veränderung der Bewohner*innenstruktur‘ sowie einer Aufwertung der Quartiere verändert sich der Wohnungsmarkt unweigerlich. Dank einer immer größer werdenden Nachfrage nach Wohnungen in Offenbach, können Makler*innen und Vermieter*innen immer differenzierter auswählen, an wen sie ihre Wohnung vergeben. Gleichzeitig reproduzieren die Formulierungen des Quartiersmanagements die Stigmatisierung von Menschen zu ‚problematischen Mieter*innen‘: Polemisch werden Menschen, die nicht über das nötige Einkommen verfügen oder aus anderen Gründen aus der ‚Norm‘ fallen, auf individueller Ebene für eine ‚Abwärtsspirale‘ im Quartier verantwortlich gemacht. Während die Verhältnisse, welche geringes Einkommen und Armut produzieren nicht problematisiert werden, tragen die Aussagen des QMs zu ‚ungünstigen Mieter*innenstrukturen‘ immer mehr dazu bei, Stereotypen von ‚guten‘ und ’schlechten Mieter*innen‘ aufrecht zu erhalten. Das sie auf diese Weise auf mehreren Ebenen daran beteiligt sind einem Teil der Bevölkerung den Zuganz zu Mitraum zunehmend zu erschweren, scheint nicht reflektiert zu werden.

Spätestens nach diesen Überlegungen entpuppt sich der flotte Brand der HfG-Wohlfühlszene als Farce: Das ‚you‘ in „OF loves you“ ist ziemlich einseitig bestimmt und richtet sich in der Realität nur an einen ausgewählten Teil der Bevölkerung. So wirklich um die Menschen scheint es nicht zu gehen, sondern eher um Image, Steuereinnahmen, Wirtschaftsinteressen, etc. Verkauft wird uns das Ganze in der Regel aber doch als soziale Maßnahme, gefasst unter dem Begriff der sozialen Durchmischung.

Wie ein Mythos Verdrängung rechtfertigen soll

‚Soziale Durchmischung‘, ist ein Argument welches vom Quartiersmanagement, der Stadt sowie zahlreichen Stadtplaner*innen immer wieder ins Feld geführt wird um Verdrängung durch Aufwertung zu rechtfertigen. Dabei führen sie an, dass ein ‚Wandel der Bevölkerungsstruktur‚ (ein Begriff der augenscheinlich davon ablenken soll, dass es sich hier um ganz konkrete Menschen handelt), v.a. den benachteiligten Schichten zu Gute käme, die vom Zuzug einer Mittelschicht profitieren würden. Dabei ginge es darum das Entstehen von ‚Parallelgesellschaften‘ bzw. eine ‚Ghettoisierung‘ zu vermeiden, die die Bewohner*innen in einer ‚Abwärtsspirale‘ in immer schlechtere Lebensbedingungen abgleiten ließe.

Tatsächlich ist die Behauptung, eine Durchmischung verbessere die Lebensbedingungen ärmerer Schichten, höchst umstritten. Neben der Tatsache, dass i.d.R. erst Menschen in andere Quartiere verdrängt werden müssen um Platz für wohlhabendere und ‚bessergestellte‘ Neuzuzüger*innen anlocken und ansiedeln zu können, zeigt sich, dass die erwünschten Effekte oft genug gänzlich ausbleiben.

Dies wird u.a. in der Studie „Living in the Bubble: Gentrification and its ‚Others‘ in North London“ von Tim Butler deutlich. Die Studie stellt die These der ’sozialen Durchmischung‘ ganz wesentlich in Frage, in dem sie zeigt, dass sich im gentrifizierten Bezirk Islington in London so gut wie keine Berührungspunkte zwischen zugezogenen Menschen aus der Mittelschicht und den Bewohner*innen des Viertels, welche nicht zur Mittelschicht gehören, entwickeln. Vielmehr legt sie nahe, dass die Zugezogenen nicht bereit sind soziales Kapital in diese Gegend zu investieren und stattdessen ihre Kinder in Privatschule unterrichten lassen und in allen Lebensbereichen faktisch ‚unter sich‘ bleiben. Die Studie legt nahe, dass statt der gewünschetn ’sozialen Durchmischung‘, sich eine zunehmend polarisierte Sozialstruktur sowie immer stärker segregierte (d.h. nach sozialen Klassen getrennte) Räume ergeben.

Auch Andrej Holm weist in seinem Blog unter „Berlin: Miete, Mischung, Mehrwert“ darauf hin, dass die positive Wirkung keinesfalls erwiesen ist:

„Denn bisher gibt es keine empirische Evidenz dafür, dass die Umkehr der räumlichen Ausgrenzung tatsächlich eine Lösung für Armut und Ausgrenzung bietet.  Dinge von denen wir zu wissen glauben, ohne das entsprechende Wissen zu haben, können als Mythos beschrieben werden – in diesem Fall spreche ich vom ‚Mythos der Sozialen Mischung‘.“

Er macht dabei deutlich, wie das Sprechen über soziale Durchmischung Menschen in „Problemgruppen“ und damit in „Objekte der Stadtplanung“ verwandelt, welche zu Hindernissen auf dem Weg zu einer sauberen und floriendenden Stadt erklärt werden. Des weiteren weist er darauf hin, dass das Argument der Durchmischung eine tatsächlichen Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung in aller Regel ersetzten soll. Indem soziale Probleme zu räumlichen Problemen gemacht werden, können sie einfach hin und her geschoben werden, ohne dass unbequeme politische und ökonomische Fragen zu Umverteilung und Aneignungsprozessen gestellt werden. Es geht folglich weniger darum Armut abzuschaffen, als sie räumlich so zu verteilen, dass sie möglichst wenig ’stört‘. Oder, wie es Margit Mayer in ihrem Text „Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt“ auf den Punkt bringt:

Teurer städtischer Raum wird von allem gesäubert, was seinen Tauschwert mindern oder den exklusiven Kommerz und Konsum, der hier stattfinden soll, stören könnte“.

Auch Andrej Holm zeigt deutlich, dass das Argument der sozialen Durchmischung stets dann aus der Zauberkiste gezogen wird, wenn die „Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen einen wohnungswirtschaftlichen Mehwert“ verspricht. Das Kartenhaus einer ‚Verbesserung für alle‘ fällt schnell in sich zusammen. Zurück bleibt eine Stadtpolitik, welche im neoliberalen Standortwettbewerb um Steuereinnahmen und Ansehen konkurriert, die Profitinteressen einiger Weniger immer mehr begünstigt, sowie die Lebensqualität der Einen mit der Verdrängung der Anderen zu zahlen bereit ist.

Nachtrag: Ähnliches wie für die Frauen im Frauenhaus gilt übrigens auch im Bereich der Notunterbringung. Auch hier nehmen Überbelegung und Dauerbelegung immer mehr zu. Die meisten Menschen die hier untergebracht werden sind laut Frankfurter Rundschau Sozialhilfeempfänger*innen, die in Folge angehäufter Mietschulden geräumt wurden und ihre Wohnungen verloren haben. Auch sie müssen immer länger in provisorischen Unterkünften ausharren, da sich auch ihre Chancen auf dem boomenden Wohnungsmarkt immer weiter verschlechtern. Laut eines Beitrags der Hartz IV Hilfe Offenbach führt die Überbelegung der Notunterkünfte und der mangelnde Wille von Seiten des Ordnungsamts sowie des Jobcenters, Unterkünfte zu vermitteln, in einigen Fällen bis in die Obdachlosigkeit.

Auch der Sozialbericht für 2013 in Offenbach weist auf darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht sind, stetig steigt. So spricht die Stadt für das Jahr 2013 von über 1500 bis 2000 bedrohten Menschen. Im Hinblick auf die steigende Anzahl von Menschen, die in Notunterkünften untergebracht werden müssen und nur schwer eine Wohnung finden, spricht selbst die Stadt von einem „angespannten Wohnungsmarkt“ in Offenbach.


 Zum Weiterlesen:

Sehr lesenswerter Beitrag von Andrej Holm zum „Mythos soziale Mischung“.

Tim Butler (2003): “Living in the Bubble: Gentrification and its ‘Others’ in North London” In: Urban Stud 2003 40: 2469. Leider ist nur der Abstract zur Studie frei verfügbar.

„Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt“ Beitrag von Margit Mayer in der Zeitschrift sub\urban.

Ein Beispiel für den ‚angewandten Durchmischungsmythos‘: Mittels Kameraüberwachung, der Schließung einer Trinkhalle und der Ansiedlung von Student*innen  sollen Drogen und Kriminalität aus der östlichen Innenstadt ‚vertrieben‘ werden.

„Leute, die man da nicht haben will“ – Der Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Offenbach verunglimpft Teile der Bevölkerung.

„Preisspanne wird größer“ – FR-Artikel zum aktuellen Mietspiegel in Offenbach.