Gegen den Mythos der Aufwertung

Immer wieder begegnet man der Aussage, dass der ‘Verslummung’ in Offenbach, nur mit Aufwertung begegnet werden könne. Diese Ansicht vertraten auch Kai Vöckler (Professor für Urbanistik an der HfG) und der Quartiersmanager Markus Schenk am vergangenen Freitag bei der Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Sebastian Schipper. Mit dem Begriff „Verslummung“ bezogen sie sich dabei auf überbelegte Wohnungen, in denen Menschen auf engstem Raum und unter widrigen Verhältnissen zusammenleben müssen, sowie auf Mietobjekte in besonders schlechtem Zustand, die ausnahmslos an Hartz-IV-Bezieher*innen vermietet werden. Sie wiesen darauf hin, dass diese Misstände nur durch eine Aufwertung Offenbachs in den Griff zu bekommen seien und dass vor diesem Hintergrund schlechte Wohnbedingungen (aus Angst vor Gentrifizierung) nicht romantisiert werden dürften.

So von Aufwertung zu sprechen klingt zwar im ersten Moment positiv, verschleiert aber, dass längst nicht alle von ihr profitieren und auch in Zukunft nicht profitieren werden. Es wird Zeit mit einem Mythos aufzuräumen, der schon lange durch Wohungspolitische Debatten geistert: Natürlich ist menschenwürdiges Wohnen für jeden und jede erstrebenswert. Wärmedämmung, gute Fenster und ein dichtes Dach über dem Kopf sollten im 21. Jhd. kein Privileg sondern eine Selbsverständlichkeit darstellen. Das tut es aber nicht. Und daran wird auch „Aufwertung“ nichts ändern. Denn anders als es Vöckler und Schenk mit ihrer Gegenüberstellung suggerieren wollen, sind Aufwertung und Abwertung keine gegensätzlichen Entwicklungen, sondern zwei Seiten derselben Medallie.

Abwerten, Ausquetschen, Aufwerten – Exkurs in die Logik des Immobilienmarkts

Was die beiden mehrmals herabwürdingend als „Verslummung“ bezeichneten, ist nicht etwa das Resultat der Wohnpraxis gewisser Bewohner*innen, sondern Teil eines Prinzipis kapitalitischer Immobilienmärkte, das in der Wissenschaft als „rent gap“ bezeichnet wird. Ausgangspunkt ist hier, wie immer, die Warenförmigkeit von Wohnen und die Idee, dass Immobilien eine sichere Wertanlage darstellen, und durch Vermietung und Verkauf von Wohnungen lukrative Gewinne erwirtschaftet werden können. Gleichzeitig zeichnen sich kapitalistische Märkte dadurch aus, dass sie großen Schwankungen unterliegen. Kapital ist stets auf der Suche nach neuen, lukrativeren Anlagemöglichkeiten und nach der Aussicht auf höhere und schnellere Profite. Investitionen folgen den Profiterwartungen und sind auf diese Weise hochmobil.

Häuser oder Wohnungen hingegen sind (wie der Name schon sagt) „immobil“. Wenn ein Standort nicht (mehr) attraktiv ist, so verliert die Immobilie an Wert. Die Gewinne, die der*die Eigentümer*in aus der Immobilie herausziehen kann, sinken. Unter diesen Vorraussetzung macht es aus einer Profitlogik heraus wenig Sinn, in die Instandhaltung solcher Immobilien zu investieren. Das heißt die Häuser verkommen, während die Eigentümer*innen in der Regel versuchen, dennoch so viel aus ihrer Immobilie herauszuholen, wie möglich. Zum Beispiel in dem sie die Wohnungen Zimmerweise zu überteuerten Mieten vermieten. Da diese Mieten allerdings immernoch unter den üblichen Mietpreisen liegen, die für eine Wohnung mit Mindeststandards zu bezahlen wären, geht die Rechnung auf und es finden sich Menschen, die aus Mangel an Alternativen solche Wohnverhältnisse in Kauf nehmen müssen.

Es ist ersichtlich, dass diese Menschen immer erst nach dem Beginn des Verfalls einziehen (dann nämlich, wenn die Mieten aufgrund des Verfalls gesunken sind). Oft werden jedoch – und immer wieder ist auch in Offenbach ähnliches zu hören – die Tatsachen verdreht, indem der Verfall Hartz-IV-Bezieher*innen oder Menschen mit Migrationshintergrund in die Schuhe geschoben werden, wodurch rassistische Diskurse und Klischees und somit Ausgrenzung und Diskriminierung dieser Menschen weiter befeuert werden.

Damit ist es aber in der Regel – und nach der Theorie des „rent gap“ – noch nicht erledigt. Denn der schlechten Aussicht auf Profite zum Zeitpunkt X, steht immer auch ein potenzieller Gewinn gegenüber, der nach einer Sanierung und bei einer Steigerung der Atrraktivität des Standorts erzielt werden könnte. Dieser Unterschied zwischen realem (Preis) und potentiellen Gewinn (potentielle Grundrente) wird durch den Begriff der „rent gap“ bezeichnet.

Rentgap

Ist dieser Unterschied groß genug, wird es wahrscheinlich, dass Investor*innen und Entwickler*innen genau solche verkommenen Immobilien billig kaufen, rennovieren um dann die Wohnungen gewinnbringend zu verkaufen und/oder zu vermieten. Die hier erfolgte Aufwertung hat also wenig damit zu tun, dass die Wohnbedingungen für die vorherigen Mieter*innen verbessert werden sollen, sondern viel mehr damit, dass die Preise der Immobilien so weit in den Keller gesunken sind, dass die Gewinnspanne zwischen billigem Kaufpreis und der Vermietung/dem Verkauf nach einer Sanierung der Wohnungen, groß genug geworden ist um zufriedenstellende Gewinne zu erzielen.

Wohnen darf nicht Ware sein!

Wohnraum für Alle wird so keinesfalls geschaffen. Viel eher wird ein Grundproblem sichtbar, das in der Diskussion vom Freitag etwas zu kurz gekommen ist – nämlich die Warenförmigkeit von Wohnraum, die dafür sorgt, dass Wohnen und Wohnungspolitik den Bedingungen des Markts und nicht den Bedürfnissen der Bewohner*innen folgt. Für eine Stadtpolitik, die sich tatsächlich für die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen und gegen miserable Wohnbedingungen einsetzen will, heißt das folglich sich für einen radikalen Wandel in der Wohnungspolitik einzusetzen. Statt Aufwertung zynisch als Allheilmittel zu verkaufen, müsste über die Dekommodifizierung und Vergemeinschaftung von Wohnraum gesprochen werden, als Möglichkeit Wohnen endlich dem Markt zu entziehen. Alles andere ist – wie wir gesehen haben im besten Fall naiv, häufig jedoch auch schlicht und einfach Heuchelei.
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Zum Weiterlesen:

Andrej Holm: ‘Crashkurs Wohnungsökonomie’ – Ausführlicher Artikel über die Ökonomie und Politik der Wohnungsversorgung.

Mehr zum Thema ‘rent-gap’ im Eintrag ‘Theorien zur Gentrifizierung’ im Recht-auf-Stadt-Wiki.

Noch mehr zur ‘rent-gap’ und der Frage ob Quartiere ‘zu schlecht’ sein können um aufgewertet zu werden, auch bei Andrej Holm: ‘Zu schlecht für die Aufwertung?’.

Einschätzungen zur Wohnungsnot in Offenbach – das Problem ist fehlender bezahlbarer Wohnraum: Stern-Artikel ‘Doppelt Ausgebeutet’ und FR-Artikel ‘Überbelegte Wohnungen‘ zeigen, dass vorallem rassistische Diskriminierung und zu hohe Mieten bei zu niedrigem Einkommen als Ursachen für prekäre Wohnverhältnisse ausgemacht werden können. (Und legen die Frage nahe, wie Aufwertung zur jener Ursachen beitragen soll..)