Mit Kochrezepten gegen unterdurchschnittliches Einkommen und psychische Belastungen. Aus der wundersamen Zauberkiste des QMs.

Statt strukturelle Probleme auf struktureller Ebene zu bekämpfen, will das Quartiersmanagement (QM) Mütter mit Migrationshintergrund dazu anregen, gesunde Kochrezepte auszutauschen um ihre Familien gegen die Folgen von niedrigem Status und geringem Einkommen zu schützen. Was sagt das über die Strategien des Quartiersmanagements aus und was passiert eigentlich wenn man Projekte ins Leben ruft, die sich ausschließlich an „Mütter mit Migrationshintergrund“ richten?

Neben einer intensiven Zusammenarbeit mit Migrant*innen-Organisationen und zahlreichen selbstorganisierten Projekten, fallen unter den „Integrations-Projekten“ des QM einige auf, die so konzipiert und gestaltet sind, dass sie Migrant*innen  auf ganz spezifische Art und Weise ansprechen: Im Rahmen des Quartiersmanagements unter der Leitung der Nassauischen Heimstätte gab es zum Beispiel Projekte, die auf die Annahme reagieren sollten, dass Menschen mit Migrationshintergrund öfter erkranken. Während die Projektbeschreibung tatsächlich noch auf mögliche strukturelle Faktoren eingeht und einen „niedrige[n] soziale[n] Status, ein unterdurchschnittliches Einkommen und hohe psychische Belastungen“ als wesentliche Gründe für eine schlechte Gesundheit nennt, sucht das QM die ‚Lösung‘ jedoch gänzlich im Privaten und suggeriert, dass das diagnostizierte und auf soziale Ungleichheit zurückgeführte ‚Gesundheitsproblem genauso gut in der eigenen Küche gelöst werden könne. Aus diesem Grund sollen Mütter mit Migrationshintergrund zu ‚Gesundheitsmanagerinnen‚ ausgeblidet und über Themen wie Ernährungsgewohnheiten, Ernährung von Schulkindern und Essstörungen informiert werden, wobei auch „die kostengünstige Zubereitung“ eine Rolle spielen soll.

Dies scheint uns ein sehr passendes Beispiel für die neoliberale Idee der ‚Aktivierung‘ zu sein. Probleme, die ganz offensichtlich strukturell bedingt sind, werden auf Individuen abgewälzt, denen suggeriert wird selbst dafür verantwortlich zu sein. Auch das QM übernimmt diese Logik, die im Fall des Gesundheitsmanagerinnen-Programms deutlich wird: Auf einmal ist nicht Armut, Chancenungleichheit oder gar Rassismus das Problem, sondern nur das eigene Unwissen über eine gesunde Ernährung. Statt über gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nachzudenken (also eine Systemkritik zu entwickeln, welche sich fragt wie niedrige Löhne und Ausgrenzung bekämpft werden könnten), regt sie die Anpassungsfähigkeit und Verantwortungsfähigkeit der Individuen an – auf einer Ebene, auf der sie bequem um eine kritische Gesellschaftsanalyse herummanövrieren kann. Heraus kommt dann ein absurdes Konstrukt, das die systematische soziale Ungleichheit in der Küche lösen möchte.

Abgesehen davon, dass auf diese Weise Scheinlösungen über die wahren Ursachen der Probleme hinwegtäuschen, gehen wir davon aus, dass Projekte, die sich in dieser Art ausschließlich an Migrant*innen richten, zuschreibende und homogenisierende Annahmen darüber ‚wie Migrant*innen sind und leben‘ (z.Bsp. auch dass Eltern mit Migrationshintergrund ohne explizite ‚Aktivierung‘ keine Elternabende besuchen würden) verstärken. Wenn Projekte, wie das Projekt der Gesundheitsmanagerinnen sich darüberhinaus auch noch ausschließlich an Mütter mit Migrationshintergrund richten, zeigt sich außerdem, dass  es sinnvoll ist darüber nachzudenken, inwiefern durch eine ausschließliche und explizite Fokussierung auf ‚Mütter‘ Rollenklischees und Geschlechterverhältnisse auf diese Weise unhinterfragt reproduziert werden.

Statt Widerstand und das Nachdenken über Strukturen, welche zu Ausschluß, Rassismus, Ungleicheit und Armut führen, schlägt das Quartiersmanagement hier vor, sich eben mit seiner ‚misslichen Lage‘ abzufinden und sich der Situation irgendwie ‚anzupassen‘. Gleichzeitig reproduziert es durch die Ausrichtung seiner Programme schnell kulturalistische bis rassistische sowie vergeschlechtliche Klischees. Wir werden darauf zurückkommen.

 


Zum Weiterlesen:

Hinweis auf eine Studie zum Projekt ‚Stadtteilmütter‘ in Neukölln, von Nadine Marquardt und Verena Schreiber. In ihrer Studie schlagen sie eine intersektionale Perspektive auf das Projekt vor und zeigen u.a. wie Konzepte von „race, class, gender, sexuality und space“ in quartiersbezogenen, sozialpolitischen Initiativen wirksam werden: „Das ‚Stadtteilmütter‘-Programm in Berlin-Neukölln und die Produktion intersektionaler Positionen in der Stadtteilpolitik“ In: Feministische Geo-RundMail, Nr.60, Juli 2014, S. 10-13.

Wie Migrant*innen über Integrationsmaßnahmen homogenisiert und Geschlechterverhältnisse zugeschrieben und reproduziert werden. Einblick in den Beitrag von Sabine Gatt „Sprachenpolitik politisch kommuniziert„. In: Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich.

Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft„, herausgegeben von Anne Broden und Paul Mecheril.